Durcheinander

Beim ganzen Durcheinander, den Katastrophen, Unsicherheiten und Krisen die zur Zeit gleichzeitig im Weltgeschehen aktiv sind, braucht es in meinen Augen vor allem eins: ein intaktes Beziehungsgeflecht.

Und in Takt meint hier – wir sind in einem Takt, auf einer Wellenlänge unterwegs. Und dabei in der Lage uns gegenseitig zu stützen und synchronisieren, wenn es bei irgendwem mal irgendwann hakt, jemand stolpert, oder auch jemand taktlos ist.

Zum Thema Beziehungen schreibt der Biologe und Philosoph Andreas Weber:

Beide Seiten einer Beziehung gehen durch den Anderen verwandelt hervor.

Wenn etwas wandlungsfähig ist, so ist es auch immer lebendig. So sind Lebendigkeit und Beziehungen eng verflochten. Die Frage “was sind Kennzeichen von Lebewesen” kennen wir noch aus der Grundschule. Kommen dabei aber neben ein paar aufgezählten Eigenschaften (Bewegung, Stoffwechsel, Wachstum, …) nicht wirklich auf den Kern der eigentlichen Angelegenheit. Andreas Weber meint dazu ebenfalls:

Lebendigkeit ist ein individuelles Bedürfnis Eins zu bleiben.

Ein Prozess der Identität schafft.

Dabei im permanenten Stoffaustausch mit der Welt steht und sich dadurch dauerhaft neu erschafft.

Jeder Körper macht dabei dieses neu Erschaffen, also die Erneuerung auf schon auf kleinster Ebene durch Zellteilung.

So liegt also das Teilen von jeher in unserer Natur um den eigenen Fortbestand zu sichern.

Ich möchte die Argumentation noch um Martin Buber erweitern, der einen Haltungs- und Perspektivwechsel von der Ich-Es zur Ich-Du Beziehung fordert.

Nur wenn wir andere Lebewesen (Umwelt, Mitwelt, Lebenswelt) nicht als ressourcenbringendes Es-Wesen (also als Ding/Objekt) sondern als wahrhaftiges, gegenwärtiges Subjekt als Du begreifen, können wir überhaupt mit ihm in Verbindung treten.

Ich bin Ich durch Dich.

Wenn Ich, Ich durch Dich bin.

Dann sind wir durch einander.

Durch unsere Beziehung erkenne ich mich selbst und wir gehen beide verwandelt daraus hervor.

Das könnte man doch einfach so stehen lassen, oder? 

Wenn Lebendigkeit ein permanenter Prozess der Neuschöpfung durch Beziehungen und umgebende Lebenswelt ist, ist das im Prinzip nie fertig. 

Und gleichzeitig ist zu jedem Moment immer alles da was uns ausmacht und es braucht um lebendig zu sein.

Lässt sich da begrifflich überhaupt festnageln, was denn da jetzt eigentlich schon ist, und was noch im Begriff ist zu werden? Oder braucht es das überhaupt nicht, weil immer alles, was ist, genau richtig ist? Und wir im Werden einfach sind?

Das macht mich irgendwie sehr glücklich und demütig.

Wir sind dabei die Summe unserer Begegnungen und Beziehungen – also ein durch einander mit anderen Lebewesen.

Jede unserer Begegnungen und die damit verbundene Beziehung ist immer ein absolut individuelles und besonderes Ereignis und reichert uns beide an.

Wenn ich überlege, wie vielen Menschen ich schon begegnen durfte und noch begegnen werde. Das ist ein grandioses Potential für ein heilloses durch einander.

Wie viele Blicke werden sich da treffen und Augenkontakt herstellen. Und dabei so viel Teilen und verwandelt hervorgehen?

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass der eigene Blick auf mich oder andere abgestumpft ist. Dass ich denke, ach den anderen kenne ich schon, weiß ja gleich was als nächstes kommt. Und mich kenne ich doch sowieso, verbringe ja mein ganzes Leben schon mit mir.

Da hilft beim nächsten Blickkontakt (auch in den Spiegel) die Frage:

Was kann ich durch Dich über mich erfahren?

Jeder Kontakt ist dabei immer etwas sehr persönliches, intimes, unmittelbares.

Wir haben in der deutschen Sprache nur zwei Sinne, über die wir Kontakt aufnehmen können: Blickkontakt und Körperkontakt. Weil es neben dem Sender auch immer einen Empfänger braucht.

Beim Zuhören (oder hier beim Lesen) weiß ich das manchmal nicht, ob der Sender noch mitbekommt, dass niemand mehr lauscht.

Umsowichtiger mir bewusst zu machen, wie wertvoll dann diese Kontakte sind. Und was wir durch sie transportieren können.

Ist Dein Beziehungsgeflecht ein Durcheinander oder ein durch einander?

Durch wen oder was bist Du der Mensch geworden der Du heute bist?

Zurück
Zurück

Ästhetik und Anästhesie

Weiter
Weiter

Resilienz - aus Sicht der Störungsökologie