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Ambiguitätskompetenz?

Ein gängiges Narrativ, mit dem versucht wird das Weltgeschehen der letzten Jahrzehnte zu beschreiben ist VUCA. Das Akronym besteht aus den vier englischen Begriffen volatility, uncertainty, complexity und ambiguity.

Viele Coping-Mechanismen und Strategien wurden bereits entwickelt, wie man den VUCA-Phänomenen begegnen kann. Hier ein möglicher Auszug:

Doch was hilft bei, oder vielmehr gegen Ambiguität? Der personifizierten Un-Eindeutigkeit?

Jetzt sagte schon Althusser, dass Eindeutigkeit ein primäres Kennzeichen von Ideologien sei, dennoch stellt sich häufig die Frage: wie ist es denn wirklich? Gibt es denn überhaupt die eine Wahrheit?

Geflügelte Worte waren und sind in diesem Kontext:

  • Ambiguitätsresistenz: wie widerstehe ich den ganzen uneindeutigen Ereignissen, Nachrichten, Sachverhalten, die ich mit meinem Weltbild nicht in Einklang bringen kann (und kapsle mich davon ab)?

  • Ambiguitätsresilienz: wie schaffe ich es, unbeschadet ob der ganzen Un-Eindeutigkeiten resilient zu reagieren?

  • Ambiguitätskompetenz: ich bin in der Lage kompetent mit den Un-Eindeutigkeiten umzugehen und kann diese sogar zu einem Vorteil nutzen.

Offensichtlich scheint letzteres eine wünschenswerte und vielleicht notwendige Fähigkeit zu sein, doch wie schaffe ich es, diese zu entwickeln? Was braucht es dafür?

Meine Antwort ist: Resonanzfähigkeit.

Ambiguitäten, also Un-Eindeutigkeiten treten im Außen auf. Im Weltgeschehen, im Büro, bei Familienfeiern, in unserer Umwelt, sobald Menschen miteinander interagieren. Bei den ganzen Informationen die tagtäglich auf uns hereinprasseln und sich in negativen Schlagzeilen überbieten, braucht es eins: ein Innehalten, ein bei-sich-selbst-mit-sich-selbst einchecken, ein ent-Automatisieren unserer Routinen und Wahrnehmungen. Einen nüchternen Blick auf die Welt, die Situationen ansehen und betrachten, ohne dabei selbst ohnmächtig zu werden. Verfallen wir doch bei einer Ohnmacht in unseren Instinkt, den Überlebensmodus zurück. (Hier ist die Ohnmacht der freeze Modus, gibt es ja in gängigen Betrachtungen noch fight oder flight.)

Es braucht neben unserer Intelligenz und Reflexionsfähigkeit vor allem eins: unsere Intuition, das sich-in-der-Welt-spüren. Nur wenn ich weiß, wer ich wirklich bin, kann ich eine Abgrenzung zur Außenwelt schaffen und nehme nicht alles ungefiltert und sofort (negativ) bewertet in mich auf. Das ermöglicht es, einen Haltungswechsel vorzunehmen, wenn ich in der Lage bin, nicht nur die Effekte von Situationen ( = ex-post Bewertung), sondern das Potential des Vorgefundenen zu betrachten ( = was kann daraus werden).

Eine wirkliche Ambiguitätskompetenz können wir also nur entwickeln, wenn wir wissen wer wir sind und eine eigene Haltung zur uns umgebenden Situation entwickelt haben. Schaffen wir das nicht, bleibt uns bestenfalls eine Ambiguitätsresistenz, die Verleugnung alles Anderen was wir nicht kennen und wahrhaben wollen.

Wenn ich die Resonanzfähigkeit auf Seiten der Intuition und des Herzens ansiedele, möchte ich auf Seiten des rationalen Verstandes und unserer Intelligenz das Welten-um-uns-herum-spüren einordnen. Denn nichts anderes ist die Ambiguitätskompetenz: wenn ich in der Lage bin, die Welten - also andere Sichtweisen anderer Menschen oder Ereignisse - als Bereicherung zu meiner eigenen anzusehen, habe ich es geschafft kompetent mit den Un-Eindeutigkeiten umzugehen und sie als Potentiale zu begreifen.

Denn wer ohnmächtig ist, hat keinen Handlungsvektor mehr zur Verfügung außer fight, flight oder freeze. Was wir dennoch immer in unserem Repertoire haben ist der Haltungsvektor.

Hartmut Rosa behauptet, Resonanz lässt sich nicht erzwingen. Aber auch nie völlig ausschließen.

Dem folgend können wir uns so gut wie überall hingeben, auf Empfang stellen und versuchen in-Einklang (zuerst mit sich, und dann mit dem Außen) zu kommen. Das mag zugegeben nicht immer klappen, dennoch glaube ich, ist es der Schlüssel um selbst über die Haltungsfähigkeit, resonanzfähig und somit handlungsfähig zu bleiben.

Doch zurück zur Eindeutigkeit und den daraus entspringenden Ideologien: Wer glaubt, die Deutungshoheit von etwas lässt sich outsourcen und blind aus irgendwelchen Medien oder Gesprächen übernehmen, der hat die Verantwortung für sein in-der-Welt-sein erfolgreich an den Nagel gehängt. Es braucht einen wachen Geist und eine resonanzfähige Hingabe, dass wir Situationen selbst mündig und souverän bewerten und einordnen können.

Zuguterletzt können wir uns noch wie bei jedem Narrativ auch bei VUCA die Frage stellen: Ist die Welt tatsächlich so komplex und volatil, oder sehe ich nur überall Komplexitäten in meiner eigenen Wirklichkeit, weil ich jedes Ereignis mit einer festgeschweißten VUCA-Brille betrachte?